
Modern oder historisch - wie wirkt Gewalt in der Erotik?
Gestatten Sie mir bitte zunächst, dass ich den Begriff der „Gewalt“ ein wenig zurechtrücke – denn dieser Begriff ist im Deutschen wahrhaftig unter die Räder gekommen. Wir benutzen ihn in erster Linie, wenn wir von „brutaler Gewalt“ reden und er kommt in „Vergewaltigung“ vor. Beides macht ihn zum Unwort. Dabei spielt die Gewalt in der Liebe eine größere Rolle, als Sie denken. Denn in der Liebe geben wir die „Gewalt über uns“ ja ganz bewusst ab – wir wollen sie gar nicht mehr, sondern wir wollen uns der Lust oder dem Partner „hingeben“. Der Verlust der Gewalt über sich selbst im Lieberausch ist legendär, und ebenso die Übergabe der Gewalt an den Partner: „Du kannst alles mir mir machen, alles, was du willst“, ist eine der üblichen Formeln.
Gewalt ist nicht an ein Geschlecht gebunden
Gewalt im erotischen Roman ist nicht an das Geschlecht gebunden, es sei denn, durch die „Schere im Hirn“. Mit Recht verpönt ist brutale körperliche Gewalt, um den Beischlaf zu erzwingen, weil sie einen Straftatbestand erfüllt – sie kommt allerdings umso häufiger im Kriminalroman vor. Im erotischen Roman hingegen ist die Szenerie von zahllosen Konflikten durchzogen. Sie zeigt sich darin, wie viel Gewalt die Protagonisten ausüben oder erdulden wollen und wie viel davon zu erwarten war und wie viel nicht.
Keine "glatt gebügelte" Sprache verwenden - keine Schere im Kopf
Ganz generell sollten sich Autorinnen und Autoren erotischer Romane ohnehin nicht an der „glattgebügelten“ Sprache der „sozialen Korrektheit“ orientieren. In der modernen Weichspül-Sprache sind Frauen beispielsweise immer „Opfer“, und sie tragen nichts dazu bei, in die jeweilige Situation zu kommen. Anders im erotischen Roman: Hier beginnt die Situation, die später eskalieren wird, nicht selten mit einer Provokation. Die Heldin will beweisen, wie sinnlich, begehrenswert, mutig, lustvoll oder gar leidensbereit ist. (Erinnern Sie sich bitte daran, dass «Die Geschichte der „O“») allein aus diesem Grund geschrieben wurde). Besonders deutlich wird dies im Roman „Lulu“ von Almudena Grandes, in dem die Heldin ihren Partner sogar damit reizt, dass sie vor seinen Augen einen Vibrator benutzt und darüber klagt, dass dieser keine „schnellen Stöße“ produzieren könne. Dann aber wird sie von seinen Wünschen überfordert und windet sich beim darauf folgenden Analverkehr unter Schmerzen.
Die Szenen werden also häufig so aufgebaut:
1. Die Frau provoziert, und hofft damit Lüste auszulösen.
2. Die Provokation gelingt, aber der Partner will etwas anderes, als sie sich gedacht hat.
3. Sie leidet unter dem, was er fordert, und fühlt sich am Ende ratlos, missbraucht oder auf merkwürdige Art zwiespältig.
4. Oftmals wandelt sich die Demütigung in ein lustvolles Schwelgen oder in plötzlich wieder einsetzende Lust.
Ist es eine heterosexuelle Szene, so bauen Sie die Szene mit Rücksicht auf Ihre empfindsamen Leserinnen besser so auf, dass die Heldin nicht absehen konnte, was mit ihr geschehen würde. Diese Regel gilt nicht in gleichem Maße für die lesbisch orientierte Beziehung, weil sich in ihr manche Frau auch mit der gewaltbereiten Verführerin identifizieren könnte.
Im Beispiel (nochmals Lulu“) sagt die Heldin, nachdem sie die Gewalt ertragen hatte und bei einer anderen Form des Geschlechtsverkehrs wieder Lust empfand:
«Die Erinnerung an die Gewalt verlieh meiner Lust eine unwiderstehliche Nuance, die mich überwältigte und ein furioses Ende auslöste.“
Gewalt, die von Frauen ausgeht
Während es relativ einfach ist, Männer als gewaltbereite Verführer darzustellen, sei es in heterosexuellen oder homosexuellen Beziehungen, so ist es meist schwieriger, die Gewaltbereitschaft von Frauen zu schildern. Dennoch wird es gelegentlich erfolgreich getan, wie beispielsweise in „Fuchsia“, bei der die dämonische Verführerin keinerlei Rücksicht auf die Verletzlichkeit ihres Opfer nimmt, sondern sie in abstoßend-faszinierender Weise erniedrigt. Dabei wird ohne jegliche Rücksicht das ansonsten unter Frauen bekämpfte Rezept: „Nimm sie dir – sie will es doch auch“ durchgesetzt.
Auch die Erniedrigung von Männern durch Frauen ist ein häufiges Thema, das am besten in Gigi Martins Erzählung „Die Herrin“ zum Ausdruck kommt. Hier ist das Opfer ein Mann, der von der eher zufällig zur „Herrin“ gewordenen Heldin auf bestialische Weise gequält wird, weil er ihr „hörig“ geworden ist. Interessant ist dabei allerdings –wie auch in fast allen anderen Werken dieser Art – dass zwischen den beiden Hauptpersonen keine Liebesaffäre, ja nicht einmal eine wirklich tiefe erotische Beziehung aufgebaut wird.
Über den Wert der Psychologie und Psychiatrie in erotischen Romanen
Viele Autorinnen fühlen sich veranlasst, nach einem Grund für die Handlungsweise der gewalttätigen oder unterwürfigen Helden zu suchen. Interessanterweise wird beim männlichen Opfer sogar Verständnis für die Unterwürfigkeit geweckt – bei Gigi Martin ebenso wie bei E.L. James. Dabei bemüht man sich, sich an der Psychologie von Sigmund Freud und an der Psychiatrie von Krafft-Ebing zu orientieren, die in Kombination Folgendes sagt:
Wer als Jugendlicher in sexuellem Zusammenhang geschlagen oder gedemütigt wurde, wird als Erwachsener versuchen, dies entweder aktiv oder passiv zu wiederholen. Er wird also Sadist, Masochist oder Sadomasochist.
Ob diese Theorien nun richtig sind oder nicht – das Volk hat sie verinnerlicht und glaubt an den „späten Fluch der bösen Tat“. Als Autor/Autorin können Sie deshalb aus der Jugenderinnerung entweder ein „ach, der arme Junge“, oder ein „blödes Schwein, er soll an seiner Neigung ersticken“ machen. Ich weise jedoch darauf hin, wie unsinnig es ist, in der erotischen Literatur auf psychologischen Theorien aufzubauen. Entscheidend sind die Gefühle der Handelnden – nicht der psychologische Hintergrund.
Kommen wir noch einmal zurück zur Gewalt. Sie ist, ich sagte es zu Anfang, nicht das, was die Leserinnen und Leser oberflächlich wahrnehmen. Wer sich hingibt, gleich, in welchem Zustand und unter welchen Umständen, lässt zu, dass ein Anderer „Gewalt über sie/ihn“ gewinnt. Wer aktiv verführt, übt immer auch Gewalt aus. Die einzige Frage, die Sie sich als Schriftsteller nun stellen sollten, ist die, wie sie damit umgehen. Dies ist sicherlich eine Herausforderung, die Sie nur dann meistern können, wenn sie sich ganz sicher sind, Gefühle „aus dem Innersten“ heraus zu schildern. Nehmen wir einmal an, das gelänge Ihnen nicht, so wären sie auf Klischees angewiesen, die Sie aus der Psychologie übernehmen können.
Konnte ich Ihnen damit helfen? Dann sagen Sie es Anderen. Wenn nicht, dann sagen Sie es mir.
Bild (leicht koloriert und retuschiert) nach einer Zeichnung von Topfer.